
Equilibria - Eine neue Welt
Begriffe neu beleben: Die drei Ws
Nachdem ich im vorherigen Kapitel Gemeinschaftsentwicklung grundsätzlich thematisiert habe, wenden wir uns in diesem Kapitel nun der Frage zu, was in der menschlichen Gemeinschaft passieren muss, damit sie langfristig fortbestehen kann. Dazu muss man sich zunächst einmal klar machen, was die grundsätzliche Triebkraft menschlichen Handelns ist.
Als bewusste, fühlende Lebewesen werden Menschen immer versuchen, etwas aus dem eigenen Leben zu machen und immer nach einer Verbesserung des aktuellen Zustands streben. Die Grundlage, die den Menschen dafür zur Verfügung steht, bilden die Ressourcen und Bedingungen, die der eigene Lebensraum bietet. Durch eine geeignete Nutzung können die Ressourcen zu etwas umgewandelt werden, das menschliche Bedürfnisse erfüllt oder Lebensqualität steigert. Je umfangreicher und schneller das geschieht, desto besser können die Bedürfnisse von mehr Menschen erfüllt und eine höhere Lebensqualität für mehr Menschen ermöglicht werden.
Drücken wir es etwas anders aus, so landen wir bei den im Titel angedeuteten drei Begriffen mit „W“. Menschen betreiben Wertschöpfung, indem sie Ressourcen zu etwas Nutzbarem umwandeln. Sie versuchen eine ständige Vergrößerung der Wertschöpfung zu erreichen – ein Wachstum. So wird ein Anstieg der Lebensqualität für immer mehr Menschen möglich – ein Anstieg des Wohlstands.
Diese drei Begriffe, Wertschöpfung, Wachstum und Wohlstand, sind im Kontext des Wirtschaftens unserer kapitalistischen Gesellschaft omnipräsent. Es wird von Wertschöpfungsketten gesprochen. Der Satz „Wir brauchen Wachstum“ kann einem wie ein Mantra vieler Politiker und Wirtschaftsexperten vorkommen. Auch das Wort „Wachstumszwang“ ist ein etablierter Begriff. Und die Warnungen vor einem Verlust des Wohlstands sind allgegenwärtig. Dem gegenüber stehen die kapitalismuskritischen Stimmen, die fragen, wie ein endloses Wachstum in einer ressourcenbegrenzten Welt möglich sein soll. Immer lauter und deutlicher wird zudem auf die gravierenden Auswirkungen des ausbeuterischen menschlichen Handelns auf den Lebensraum Erde hingewiesen, die Jahr für Jahr deutlicher sichtbar und für immer mehr Menschen spürbar werden. Und auch ich schließe mich den kritischen Stimmen an mit der Frage: Wie soll ein, für den Fortbestand unserer Zivilisation notwendiges, nachhaltiges menschliches Handeln in einem System gelingen, das auf Säulen errichtet ist, die Nachhaltigkeit grundlegend widersprechen?
In meiner Einführung in dieses Kapitel habe ich jedoch bereits zum Ausdruck gebracht, dass ich glaube, dass ein permanentes Streben nach Mehr ein natürlicher Aspekt menschlichen Lebens ist. So bleiben die Begriffe Wertschöpfung, Wachstum und Wohlstand auch in meiner Vision eines neuen Systems von zentraler Bedeutung. Für mich liegt das Problem einzig und allein in der Definition dieser Begriffe im aktuellen kapitalistischen System, die in meinen Augen veraltet ist und nicht mehr auf dem Wissens- und Erkenntnisstand basiert, den wir Menschen heute haben. Ich sage: Die kapitalistische Definition der Begriffe Wertschöpfung, Wachstum und Wohlstand ist unzureichend, da sie wesentliche, heute bekannte Faktoren nicht einschließt. Ich denke, die Entwicklungen in unserem Lebensraum führen uns gerade eindeutig vor Augen, dass große Teile des angeblichen Wachstums und Wohlstands nur eine Illusion und nicht nachhaltig erzielt sind. Außerdem halte ich die gebräuchliche Wohlstandsdefinition für sehr eingeschränkt geeignet, um wiederzugeben, wie gut es Menschen geht. Aber der Reihe nach:
Beginnen wir ganz einfach, indem wir uns einen beliebigen Produktionsprozess anschauen. Ressourcen, zum Beispiel Rohstoffe, werden eingesetzt und zu einem Produkt mit Nutzwert umgewandelt. Ein klassischer Wertschöpfungsprozess. Um das Produkt immer mehr Menschen zur Verfügung stellen oder kaputte Produkte schnell ersetzen zu können, wird die Produktionsgeschwindigkeit immer weiter gesteigert. Das heißt immer schneller wird immer mehr Ressource ohne Nutzwert zu Produkten mit Nutzwert umgewandelt. Es gibt ein stetiges Wachstum der Wertschöpfung. Also alles wunderbar? Es erscheint so, aber nur solange man eine grundlegende Eigenschaft unseres Lebensraums außer Acht lässt: Viele Ressourcen stehen nicht unbegrenzt zur Verfügung. So hat jeder Wachstumsprozess, der nur auf einem Anstieg des Ressourceneinsatzes basiert, ein Ablaufdatum – einen Zeitpunkt, an dem die Produktion schlagartig zum Erliegen kommt, da eine Ressource nicht mehr verfügbar ist. Alle Systeme, die von diesem Produktionsprozess abhängig sind, werden schlagartig kollabieren. Ein solches Wachstum ist daher lediglich eine Erhöhung der Geschwindigkeit, mit der man irgendwann gegen die Wand fährt. Womöglich kann die Ressource durch eine andere ersetzt werden, aber das zögert den Crash nur hinaus. Der Crash kann nur verhindert werden, wenn der Produktionsprozess rechtzeitig um einen Recyclingprozess ergänzt wird, in dem die Ressource aus Produkten zurückgewonnen und dadurch ein Kreislauf geschaffen wird. Und mit dieser simplen Feststellung sollten zwei Aspekte deutlich werden: Zum einen, dass ein Produkt nicht in unbegrenzter Menge existieren kann, da die Produkte irgendwann selbst zur einzigen verbleibenden Quelle für die eingesetzten begrenzt verfügbaren Ressourcen werden. Und zum anderen, dass ein Kreislauf aus Nutzung und Recycling die einzige Form eines Wertschöpfungsprozesses ist, die dauerhaft funktionieren kann, wenn begrenzte Ressourcen zum Einsatz kommen. Wie viel von einer Ressource noch verfügbar ist oder aber über die Existenz eines etablierten Recyclingprozesses wiedergewonnen werden kann, bestimmt das Potential der menschlichen Zivilisation, weitere Wertschöpfung auf Basis dieser Ressource zu betreiben. Es ist damit eine sehr wichtige Variable, um den wirtschaftlichen Status der Zivilisation zu beschreiben.
Doch genau dieses Potential ist die Variable, die in der gebräuchlichen Definition von Wertschöpfung und Wachstum nicht berücksichtigt wird. Und dadurch ergibt sich eine falsche Rechnung. Schließlich ist das Gesamtpotential Produkte mit Nutzwert herzustellen, das uns der Lebensraum Erde bietet, ein Grundwert, über den wir als Menschheit insgesamt verfügen, der nicht vergrößert werden kann. In jedem Prozess, in dem wir begrenzte Ressourcen einsetzen, verringert sich dieser Wert. Dieser Einsatz steht dem Gewinn an Nutzwert entgegen und muss daher in der Berechnung des tatsächlichen Wertzuwachses abgezogen werden. Erst wenn ein Kreislauf aus Produktion und Recycling etabliert ist, bleibt das Potential eine konstante Größe, da bereits bei der Produktion sichergestellt ist, dass die Ressourcen wiederhergestellt werden können. Daher sollte nur ein Wertzuwachs, der innerhalb eines Kreislaufs erzielt wird, wirklich vollständig als solcher betrachtet werden.
Doch was ist konkret das Problem im aktuellen System? Das Problem ist, dass es auf der einen Seite eine grundlegende Notwendigkeit gibt, rechtzeitig vor der Erschöpfung einer Ressource einen Kreislauf zu etablieren. Ansonsten tritt das oben beschriebene Szenario eines Kollaps der gesamten Prozesse, die von dieser Ressource abhängig sind, ein. Auf der anderen Seite wird jedoch durch das aktuelle System kein grundsätzlicher Anreiz geschaffen, Recyclingmethoden zu entwickeln und einen Kreislauf aufzubauen. Ein Anreiz entsteht erst, wenn es günstiger ist zu recyclen, als natürliche Vorkommen weiter auszuschöpfen. Und das ist ein großes Problem bei allen Ressourcen, die vergleichsweise leicht aus natürlichen Vorkommen zu holen, aber schwer oder womöglich gar nicht zu recyclen sind. Denn dann entsteht der Anreiz oder in diesem Fall besser die Not zu recyclen erst, wenn die natürlichen Vorkommen ausgeschöpft sind. Und das ist logischerweise zu spät, um den Kollaps von dieser Ressource abhängiger Wirtschaftszweige zu verhindern. Dies wäre anders, wenn die Variable Produktionspotential mitberücksichtigt würde. Denn dann wird deutlich, dass man es beim Ausschöpfen natürlicher Vorkommen mit einem Prozess zu tun hat, bei dem das Potential verringert wird und beim Recyclen mit einem Prozess, bei dem das Potential vergrößert wird. Dementsprechend müsste für das Ausschöpfen natürlicher Vorkommen ein Preis erhoben und das Recyclen subventioniert werden. Auf diese Weise würde die Begrenztheit der Ressourcen abgebildet und die rechtzeitige Entwicklung und Umsetzung von Recyclingmethoden gefördert.
Dadurch würde nebenbei sogar noch ein weiteres Problem angegangen: Was passiert mit dem ganzen Müll? Durch das Fördern von Recycling werden nicht mehr genutzte Produkte zu einer ungleich wertvolleren Quelle für die eingesetzten Ressourcen. Dem Entstehen immer größerer Schrott- und Müllberge könnte so entgegengewirkt werden. Und von diesem Punkt lässt sich wunderbar eine Brücke schlagen zu einem weiteren Aspekt, der in der gebräuchlichen Definition von Wertschöpfung und Wachstum kaum berücksichtigt wird. Und dieser hat noch wesentlich gravierendere Auswirkungen.
Die Rede ist vom Eingriff in natürliche Gleichgewichte und die daraus resultierende langfristige Veränderung der Lebensbedingungen in unserem Lebensraum Erde. Die Effekte und Folgen einer globalen Erwärmung, vor denen Klimaforscher seit Jahrzehnten warnen, treten zunehmend deutlicher zu Tage. Extreme Wetterereignisse wie Rekordtemperaturen, Trockenheit, starke Regenfälle und Stürme werden häufiger und heftiger. So wird in immer höherer Frequenz und an immer mehr Orten auf der Welt zerstört, was Menschen aufgebaut haben und Lebensgrundlagen gehen zeitweise oder dauerhaft verloren. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Treibhauseffekt liefern eine logisch nachvollziehbare Erklärung dieser Entwicklung und zeigen zudem auf, dass es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um ein menschengemachtes Problem handelt. Die Verbrennung fossiler Energieträger war der Antrieb von Fortschritt, Entwicklung und Wachstum seit Beginn der Industrialisierung. Auch unsere heutige Zivilisation ist noch wesentlich von ihr abhängig. Doch dieser massive Eingriff in den Kohlenstoffkreislauf der Erde erweist sich nun als fataler Fehler. Durch die massenhafte Umsetzung von im Boden gebundenem Kohlenstoff zu klimatisch wirksamen Kohlenstoffdioxid (CO2) verschlechtern wir sukzessive die Lebensbedingungen für Menschen und andere Lebewesen auf der Erde. Die Schäden, die langfristig durch den Verlust von nutzbarer Landfläche und durch zunehmend extremeres Wetter entstehen werden, sind schwer abzuschätzen. Doch dass sie extrem groß sind, daran sollte die Kombination aus Prognosen von Klimaforschern und den Entwicklungen, die sich bereits beobachten lassen, keinen Zweifel lassen.
Nun muss man leider feststellen, dass diese Schäden bei der Bewertung von Wertschöpfung und Wachstum in unserem kapitalistischen System lange überhaupt nicht und auch heute noch nur in sehr geringem Maße berücksichtigt werden. Die Integrität unseres Lebensraums als Einsatz bei unseren Wertschöpfungsprozessen, das ist die Realität hinter unserem angeblichen Wachstum seit Beginn der Industrialisierung. Wir haben ohne Frage eine sensationelle technische Entwicklung gemacht und erreichen aktuell eine nie zuvor dagewesene Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Aber wir haben eben auch die Schäden, die unser Weg dahin langfristig verursacht, noch nicht bezahlt. Unser angeblicher Wohlstand basiert auf einem Kredit. Einem Kredit, den wir bei der Erde als unserem Lebensraum genommen haben. Und immer noch nehmen wir weiteren Kredit auf. Es gibt wenig klare Schritte, um endgültig von weiterem Kredit unabhängig zu werden. Von einer Rückzahlung ist noch nicht mal die Rede. Und wer bezahlt die Zinsen? Normalerweise sollten die Zinsen für einen Kredit von denen bezahlt werden, die den Kredit auch aufgenommen und dementsprechend davon profitiert haben. Doch beim Kreditinstitut Erde läuft es anders. Die Zinsen, repräsentiert durch die zunehmende Zerstörung von Lebensgrundlagen infolge klimatischer und ökologischer Veränderungen, treffen Menschen zufällig und belasten insbesondere zukünftige Generationen. So müssen Menschen, die häufig wenig bis gar nicht vom Kredit profitieren, die Zinsen tragen. Das ist die brutale Ungerechtigkeit unseres aktuellen kapitalistischen Systems. Nur wenn der Schaden, der durch Eingriffe in natürliche Gleichgewichte langfristig entsteht, bei Produktionsprozessen eingepreist wird, kann eine Abkehr von zerstörerischen Prozessen und eine Förderung nachhaltigen Wirtschaftens erreicht werden. Dies wird leider erst jetzt sehr langsam beispielsweise durch einen CO2-Preis angegangen.
Es ist dabei völlig klar, dass diese Veränderung nicht von heute auf morgen vollzogen werden kann. Der Weg von einem System, das Ressourcen behandelt, als seien sie unendlich und die Auswirkungen des Handelns auf den Lebensraum vollkommen ignoriert, zu einem System, das vollständig nachhaltig ist, ist eine gewaltige Transformation. Versucht man sie zu schnell zu vollziehen, zum Beispiel indem sich der Preis für Energie aus fossilen Energieträgern durch hohe Ausgleichszahlungen schlagartig vervielfacht, bricht das ganze Weltwirtschaftssystem mit seinen vielen Abhängigkeiten zusammen. Es muss ein kontinuierlicher Prozess sein, damit neue Verfahren und Kreisläufe entwickelt und aufgebaut werden können. Doch sollten wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, um diesen Prozess so schnell wie möglich voranzutreiben. Schließlich bedeutet jede Verzögerung weiteren Schaden, der langfristig bezahlt werden muss. Und die Gefahr für Schäden, die irreparabel sind, steigt stetig.
Ein wichtiger Schritt ist meiner Meinung nach, die Begriffe Wertschöpfung, Wachstum und Wohlstand auf Basis unseres heutigen Erkenntnisstands neu zu beleben. So wirkt es fast schon bizarr, wenn Verfechter des aktuellen kapitalistischen Systems Prozesse in Richtung Nachhaltigkeit immer noch als Konkurrenz zu Wachstum und Wohlstand bezeichnen, während gleichzeitig die Zerstörung von Lebensgrundlagen aufgrund des Klimawandels immer deutlicher wird. In der Bewertung des Handelns und Wirtschaftens müssen endlich die langfristigen Auswirkungen auf den Lebensraum berücksichtigt und einberechnet werden. Der tatsächliche Wertgewinn und das wahre Wachstum ist das, was übrig geblieben ist, nachdem alle Schäden beglichen und die eingesetzten Ressourcen wiederhergestellt sind.
Doch für das Wichtigste halte ich, Menschen eine Perspektive zu zeigen – die Perspektive, dass auch auf nachhaltigem Wege Fortschritt und Entwicklung möglich sind und nachhaltiger Wohlstand erreicht werden kann. Und um diese Perspektive zu zeigen, kommen wir nun zum nächsten Schritt des
Aufbaus von Equilibria
Damit die hochentwickelte menschliche Zivilisation, die wir kennen, langfristig fortbestehen kann, muss sie nachhaltig werden. Sie muss lernen, mit den begrenzten Ressourcen des Lebensraums zu haushalten und die Lebensbedingungen, die er bietet, zu erhalten. Es steht uns nicht zur Wahl, ob sich etwas ändert. Uns steht lediglich zur Wahl, ob wir die Veränderung selbst angehen und dadurch noch Einfluss darauf haben, wie sie aussieht, oder ob die langfristigen Auswirkungen unseres ausbeuterischen Handelns uns die Veränderung gewaltsam aufzwingen.
Betrachtet man den immensen Ressourceneinsatz und Energieverbrauch, der unsere Zivilisation aktuell antreibt, sowie die Unmengen an Müll, die sie hervorbringt, so erscheint der Weg zu Nachhaltigkeit nahezu unmöglich. Oder zumindest erscheint er nur durch massive Einschnitte und Einschränkungen des Lebensstandards möglich. Aber wie soll man Menschen auf einen Weg mitnehmen, auf dem der einzige Antrieb schlechtes Gewissen und der Sinn für regions- und generationenübergreifende Gerechtigkeit ist, nicht jedoch das, was am Ende dieses Weges wartet?
Vermutlich ist das wirklich nicht möglich. Aber es gibt Möglichkeiten nachhaltiger Wertschöpfung und nachhaltigen Wachstums. Und diese haben ein gewaltiges Potential. Und so steht am Ende dieses Weges in Equilibria ein System, das auf drei Säulen errichtet ist.
Die erste Säule ist die Energieversorgung. So groß der Energieverbrauch unserer Zivilisation auch ist, so beträgt er dennoch nur einen Bruchteil des Potentials regenerativer Energiequellen auf der Erde. Ununterbrochen treffen Unmengen an Energie von der Sonne auf die Erde. Es ist eine aus menschlicher Perspektive praktisch unendliche Ressource. Und wir verfügen über mehrere Methoden, diese Energie einzufangen. Mit Photovoltaikanlagen können wir die Sonneneinstrahlung direkt in Strom umwandeln. Mit Windrädern können wir die Energie der Luftströmungen nutzen, die durch Temperaturunterschiede entstehen, welche auch auf Sonneneinstrahlung zurückgehen. Und mit Wasserkraftwerken nutzen wir die Energie des Wassers, das von den Bergen ins Tal fließt, und das ebenfalls durch Sonneneinstrahlung verdunstet und als Regen auf diese Berge gefallen ist. Alles, was es braucht, ist ein weiterer Ausbau dieser bereits erprobten Methoden sowie der Aufbau eines intelligenten Transport- und Speichersystems, um temporäre und regionale Schwankungen der Energieerzeugung auszugleichen. Dies erfordert ohne Frage große Investitionen. Doch keine Investition ist größer als der Preis, den die weitere Nutzung fossiler Energieträger uns langfristig kosten würde. Die entscheidende Botschaft ist: Das Potential nachhaltiger Energiegewinnung ist riesig.
Die zweite Säule ist technischer Fortschritt. Da wir es auf der Erde mit begrenzten Ressourcen zu tun haben, ist in einer nachhaltigen Zivilisation die Hauptfrage nicht „Wie wandeln wir immer mehr Ressource zu Produkten um?“, sondern „Wie können wir Produkte verbessern, damit wir bei geringerem Ressourceneinsatz den gleichen Nutzwert erreichen?“. Mit Blick auf die rasante Entwicklung unserer Zivilisation in dieser Hinsicht und etwas Vertrauen in die menschliche Kreativität und Intelligenz ist auch hier ein großes Potential anhaltender Weiterentwicklung zu vermuten.
Die dritte Säule ist die effiziente Nutzung von Produkten. Wichtigster Punkt ist hier das Recycling nicht mehr genutzter Produkte. Das ist der einzige Weg, um das Potential, das in den Ressourcen der Erde steckt, zu erhalten. Gleichzeitig kann so auch das Müllproblem, das ebenfalls Ökosysteme und damit gute Lebensbedingungen gefährdet und zerstört, gelöst werden. Ein zweiter Punkt ist, dass Produkte auch während ihrer Lebensdauer effizienter eingesetzt werden. Das wird zum Beispiel dadurch erreicht, dass Produkte von mehreren Menschen genutzt werden. So erreicht man eine höhere Auslastung. Je ressourcenintensiver die Herstellung eines Produkts und je seltener es benötigt wird, desto bedeutsamer wird dieser Punkt. Im Auf- und Ausbau geeigneter Sharing-Konzepte liegt in vielen Bereichen ein enormes Potential zur Ressourceneinsparung.
Auf diesen drei Säulen kann nachhaltiger Wohlstand wachsen. Doch die Frage, die an dieser Stelle bleibt: Was müssen diese Säulen überhaupt tragen? Was ist eigentlich Wohlstand? Ich habe oben bereits geschrieben, dass ich die gebräuchliche Wohlstandsdefiniton für sehr eingeschränkt geeignet halte, um auszudrücken, wie gut es Menschen geht. Das liegt daran, dass mit diesem Begriff in der Regel nur materielle Aspekte wie Einkommen, Vermögen und Besitz in Verbindung gebracht und für die Bewertung herangezogen werden. Es wird jedoch sicher jeder Mensch zustimmen, dass es viele weitere Aspekte gibt, die bestimmen, wie zufrieden man ist. Zum Beispiel, wie man die eigene Zeit nutzen kann. Wie viel Zeit hat man zur Verfügung, um etwas zu tun, das einem Spaß macht oder Erfüllung bietet? Ebenso bedeutend, und damit schlagen wir eine Brücke zum vorherigen Kapitel: Mit welchem Selbstwertgefühl geht man durchs Leben? So stellt sich abschließend die Frage, in welchem Maße Menschen dazu verleitet werden, Zufriedenheit viel zu einseitig in materiellen Aspekten zu suchen, wenn das Gesellschaftssystem durch eine derartig einseitige Wohlstandsdefinition geprägt ist? Oder anders formuliert: Zu welchem Anteil führt das Streben nach materiellem Reichtum, wie es aktuell in unserer Gesellschaft existiert, tatsächlich zu mehr Zufriedenheit und zu welchem Anteil verfolgen Menschen damit nur eine gesellschaftlich vermittelte Illusion eines guten Lebens, die sich jedoch nie wirklich erfüllt?
Das ist eine sehr interessante Frage. Denn wenn es gelingt zu zeigen, dass ein großes Potential, Zufriedenheit zu steigern, in Faktoren steckt, die nicht nur durch die fortschreitende Ausbeutung des menschlichen Lebensraums maximiert werden können, dann eröffnet sich eine nie dagewesene Perspektive nachhaltigen Wohlstands durch einen verstärkten Fokus auf eben diese Faktoren. Und da dies ein so spannender und zentraler Aspekt meiner Vision ist, verdient er ein eigenes Kapitel. So werde ich mich im nächsten Kapitel, das ich in dieser Rubrik veröffentliche, detailliert mit der Frage auseinandersetzen: Was ist eigentlich Wohlstand?
