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Die kleinen Bausteine

Emotionale Verletzungen

Sicher kennst Du auch das Gefühl, manchmal einfach nicht so handeln zu können, wie Du es eigentlich möchtest. Zum Beispiel, weil da eine unerklärliche innere Barriere aus Angst oder Zweifel ist, die Du nicht durchbrechen kannst. Oder auch, weil Deine Reaktion in bestimmten Situationen wie ferngesteuert scheint. Womöglich spürst Du in diesen Situationen zwar irgendwo tief in Dir, dass Dein Handeln keinen Sinn ergibt oder nicht zielführend ist und trotzdem kannst Du nicht anders.

Du bist damit nicht allein. Es ist etwas, das zum Menschsein dazugehört. In der Rubrik „Schaufenster: Psychische Barrieren“ findest Du eine wachsende Sammlung konkreter Beispiele. Schau dort gerne mal vorbei. Eine Erklärung für viele dieser inneren Barrieren kann man in folgendem Konzept der emotionalen Verletzung finden:

Wir Menschen sind fühlende Lebewesen. Was wir wahrnehmen und erleben, löst in uns emotionale Reaktionen aus. Diese können angenehm und schön, aber auch sehr schmerzhaft sein. Dabei ist interessant: Die emotionale Reaktion auf ein bestimmtes Ereignis kann von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein. Sie ist Teil unserer Individualität.

Emotionaler Schmerz entsteht immer dann, wenn wir in irgendeiner Weise Ablehnung erfahren. Das geschieht zum Beispiel wenn unsere Bedürfnisse nicht beachtet werden, wir aufgrund naturgegebener Merkmale diskriminiert werden oder uns physische oder verbale Gewalt angetan wird. Es ist eine Reaktion des Protests gegen diese Signale, die ausdrücken, wir seien nicht okay und richtig so wie wir sind.

Schmerz ist ein Schutzmechanismus. So wie physischer Schmerz uns etwas anzeigt, das unseren Körper schädigen kann, so zeigt emotionaler Schmerz uns etwas an, das unsere Psyche schädigen kann. Er durchströmt unser Bewusstsein mit einem Signal: Nichts und niemand hat das Recht, uns aufgrund unserer angeborenen Merkmale als minderwertig oder falsch zu bezeichnen.

Eine emotionale Verletzung entsteht, wenn wir nicht in der Lage sind, dieses Signal richtig zu verarbeiten. Dies ist vor allem zu Beginn unseres Lebens der Fall und nicht vermeidbar. Denn zum einen sind wir vollständig abhängig von der Außenwelt. Wir können unsere Bedürfnisse nicht klar zum Ausdruck bringen und uns kaum gegen etwas wehren, das uns angetan wird. Zum anderen sind unsere kognitiven Fähigkeiten noch nicht so entwickelt, dass wir unsere Emotionen bewusst verarbeiten können. Es gibt jedoch den natürlichen Reflex Schmerz zu entfliehen, wenn es irgendwie möglich ist. Und wenn wir uns nicht gegen das stellen können, was den Schmerz auslöst, richtet sich dieser Reflex gegen die Übertragung des Schmerzes. Man kann auch hier wieder einen Vergleich zu physischem Schmerz ziehen. Würde man die Nervenverbindung zu der verletzten Stelle kappen, dann würde man keinen Schmerz mehr spüren. Und genau das passiert bei emotionalem Schmerz. Da wir die Entstehung des Schmerzes nicht stoppen können, wird der Teil unseres Bewusstseins, in dem der Schmerz entsteht, von der emotionalen Verbindung abgetrennt. Eine emotionale Verletzung ist entstanden.

Es kann nun kein Schmerz mehr aus diesem Teil unseres Bewusstseins übertragen werden. Viel bedeutender ist jedoch, dass dieser Teil auch nicht mehr durch die Emotion beschützt werden kann. Er nimmt die von außen eintreffenden Signale ungehindert auf – Signale, dass wir nicht richtig sind, dass das, was uns angetan wird, gerechtfertigt ist, dass unsere Bedürfnisse nicht okay sind oder was auch immer uns in der verletzenden Situation vermittelt wird. Ein Teil unseres Bewusstseins trägt fortan diese Bewertungen und Aussagen in sich. Sie prägen unsere Reaktion, wenn dieser Teil des Bewusstseins getriggert und aktiviert wird. Das geschieht besonders dann, wenn wir vergleichbare Situationen erleben. Selbst dann, wenn diese eigentlich viel harmloser sind. Solche Reaktionen können Gedanken sein, aber auch Verhaltensreaktionen. Und es liegt in der Natur der Sache, dass diese Reaktionen sich gegen uns selbst und unseren tatsächlichen Willen richten. Schließlich basieren die Reaktionen auf Aussagen und Werten, gegen die unsere Emotionen schon protestiert haben, als sie von außen auf uns eingewirkt haben. Nun werden diese Aussagen durch unser eigenes Denken und Handeln reproduziert. Und natürlich wird das aufs Neue emotionalen Schmerz in uns auslösen, der wiederum in einer emotionalen Verletzung resultieren kann, wenn wir ihn wieder nicht richtig verarbeiten können.

So entsteht als Summe unserer emotionalen Verletzungen in uns allen eine innere Kraft, die gegen uns selbst agiert – ein Teil unseres Bewusstseins, der das Gegenteil verkörpert von dem, was wir eigentlich wollen. Und darüber lassen sich die zu Beginn erwähnten Situationen erklären. Es sind Situationen, in denen diese Kraft unser Handeln kontrolliert. Wir können nichts dafür. Kein Mensch kann etwas dafür. Aber es hat eine gewaltige gesellschaftliche Brisanz. Denn natürlich ist es wahrscheinlich, dass besonders durch das aus emotionalen Verletzungen resultierende Handeln von Menschen immer wieder neue emotionale Verletzungen in Menschen ausgelöst werden – ein gesellschaftlicher Teufelskreis.

Die gute Nachricht: Es ist möglich zu lernen, mit den eigenen emotionalen Verletzungen so umzugehen, dass sie keinen neuen Schmerz mehr verursachen können. Man kann lernen, sich der inneren Kraft, die gegen uns agiert, zu widersetzen. Im nächsten Text dieser Rubrik beschreibe ich, wie das funktioniert.

Umfassendere Erläuterungen rund um Emotionen und emotionale Verletzungen mit einer Einordnung anhand persönlicher Erfahrungen findest Du in der Rubrik „Die Reise zum Ich“ auf „Etappe 2: Die Sprache des Ichs“.

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